Einführung
Einführung in die Ausstellung „Stuttgarter Perspektiven“
Dr. Dieter Meissner, Vorstandsmitglied des Künstlerbundes Stuttgart
Donnerstag, 14. November 2024, USU Software AG, Möglingen
Liebe Gäste, liebe Kunstfreunde, lieber Wilhelm Betz,
es ist mir eine große Freude, Sie heute Abend hier in den Räumlichkeiten des Hauptsitzes der USU Software AG zur Eröffnung der Ausstellung mit Fotografien von Wilhelm Betz begrüßen zu dürfen. Diese Ausstellung bietet uns nicht nur Einblicke in die faszinierende Arbeit eines außergewöhnlichen Fotografen. Es ist eine Reise durch die Gesichter und Geschichten der Menschen, die Wilhelm Betz vor seiner Kamera einfängt, und auch eine Reise mit dem besonderen Blick auf Stuttgart, seine Menschen, seine Gebäude, seine Besonderheiten und seine Dynamik in der Veränderung einer Metropole.
Wilhelm Betz ist in vielerlei Hinsicht ein besonderes Mitglied unserer Künstlergemeinschaft. Seine Laufbahn begann nicht klassisch im künstlerischen Umfeld, sondern in der Welt der IT-Beratung und des Vertriebs, wo er über 40 Jahre tätig war. Doch irgendwann führte ihn seine Leidenschaft für die Fotografie auf neue Wege, die ihn zu einem Zweitstudium für Fotodesign in Stuttgart brachte – ein Studium, das er nicht nur erfolgreich, sondern mit Auszeichnung abschloss. Diese Entscheidung hat uns einen Künstler geschenkt, der mit scharfem Blick und großem Herz Menschen in Szene setzt, die uns sowohl durch ihre Persönlichkeit als auch durch ihre äußere Erscheinung beeindrucken.
Für sein Frauen-Porträt-Projekt entwickelten sich ständig neue Ideen, wie man porträtieren könnte, neue Konzepte für Aufnahmesituationen, sowie der Wunsch, immer wieder neue Lichtsets zu entwickeln und zu realisieren. Jede Frau in dem Buch ist einzigartig und dies galt es zu zeigen. In den Porträts geht es Wilhelm Betz darum, dem Augenblick eine Dauer zu verleihen und seine ganz persönliche Sicht auf die Menschen festzuhalten. Die große Fotografin Annie Leibovitz präsentierte im letzten Jahr in Frankfurt die Fotoausstellung "Women: New Portraits“. Hierzu ein Zitat aus einem Artikel von Laura Gerlach, der im FAZ-Magazin erschien: "Beauty or truth – ist es Schönheit oder Wahrheit, die sie sucht in Ihren Bildern? Vielleicht nicht die Schönheit noch die Wahrheit, aber wohl eine Schönheit. Nicht sie führe Regie in ihren Bildern, sondern die Frauen selbst, die sie dann fotografiere: Der Akt des Fotografierens als Moment der Selbstinszenierung Leibovitz' Protagonisten. „Ich will, dass sie gut aussehen, die Frauen in meinen Bildern." Und genau das ist es, was Wilhelm Betz in seinen Porträt-Sessions macht. Er schafft die notwenige Atmosphäre in den Shootings. Mit seiner Methode, die Frauen mit zugewandtem Monitor zu fotografieren, erhält er von den Porträtierten eine unmittelbare Rückmeldung zu den Aufnahmen. Damit können die Frauen aktiver in das Geschehen mit einbezogen werden, um sich selbst besser zu inszenieren. Hier in der Ausstellung werden die Porträts der Stadträtin und Diskothek-Betreiberin Laura Halting-Hoppenheit und der bekannten Architektin und Professorin für Baukunst Jorunn Ragnarsdottir gezeigt.
Die Passion für die Porträtfotografie setzte sich in den Serien „Stuttgarts junge Wilde“ und „Buntes Stuttgart“ fort. Bei den Fotoshootings gibt es immer wieder überraschende Momente. So hatte eine Teilnehmerin des Shootings für „Stuttgarts junge Wilde“ den Wunsch, wie auf einem Bild von Julia Roberts in der gezeigten Pose aufgenommen zu werden. Es ist also häufig ein Wechselspiel zwischen Fotograf und Modell, das zu außergewöhnlichen Ergebnissen führt. Auch die Kombination mit außergewöhnlichen Techniken führt zu beeindruckenden Ergebnissen. Bei der Porträtserie „Stuttgarts junge Wilde“ wurde für die Vergrößerungen das Edeldruckverfahren „Cyanotypie“, auch Eisenblaudruck genannt, eingesetzt. Dabei werden aus den digitalen Bildern Negative erzeugt und auf einer Folie ausgedruckt. Dann wird Aquarellpapier mit einer Flüssigkeit aus Ammoniumeisen und rotem Blutlaugensalz eingestrichen, und mittels UV-Strahlung belichtet. Anschließend wird das Papier gewässert, fixiert und getrocknet. Dieses Verfahren des Blaudrucks hat die UNESCO übrigens im Jahr 2018 zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärt. In dieser Technik werden Porträts von Emma von Bergenspitz, Thabile und Tim Bengel gezeigt.
Das Projekt, das im Jahr 2021 begonnen wurde, fand letztes Jahr seine Fortsetzung. Es sollten neue Bilder entstehen, eine Version 2.0, durch eine künstlerische Darstellung der Köpfe mit einer neuen Präsentation und einer eigenen Bildsprache. Die Menschen sollten in mehreren Ansichten mit harmonischen Proportionen und in harmonischen Farben dargestellt werden. Weiterhin sollte eine Personalisierung der Bilder erfolgen, indem „Lieblingselemente“ und die „Lieblingsfarbe“ der Protagonisten mit in die Bildkomposition einflossen. Um dieses Konzept zu entwickeln, ist Wilhelm Betz einige Tage an die Kunstakademie nach Augsburg gegangen und hat in Gesprächen mit dem künstlerischen Leiter Rainer Kaiser aus den Ideen, die dort entwickelt wurden, die ersten Bilder realisiert. Gezeigt werden die Porträts von Claudia Feiner, Yvonne Wolz, Brigitte Schönberger, Philip Kohl, Karimael Buledi und Claudius Desanti.
Neben der Porträtfotografie widmet sich Wilhelm Betz auch anderen Genres. Wilhelm Betz hat trotz seiner mittlerweile beeindruckenden fotografischen Karriere nie den Bezug zur Region Stuttgart, die ihm nach den vielen Jahren zur Heimat geworden ist, verloren. Daher ist es nicht verwunderlich, dass er sich mit Stuttgart, seinen Menschen und der Lebenssituation in dieser Stadt intensiv auseinandersetzt. Seine fotografischen Arbeiten spiegeln die Vielfalt und den Charakter dieser Stadt und ihrer Menschen wider und seine Bilder zeigen, wie stark er mit der Region verbunden ist. Die Fotoprojekte „Dicke Luft in Stuttgart“, „New Mobility 0711“ und „Stuttgarter Perspektiven“ dokumentieren dies in eindringlicher Deutlichkeit. Ich sage bewußt „dokumentieren“, denn die Fotografie ist ein Medium, das für die Dokumentation geschaffen ist. Dass der Fotograf dieses Dokumentieren verstärken, intensivieren und komprimieren kann, zeigen die Aufnahmen von Wilhelm Betz sehr eindrücklich. Stilmittel wie lange Belichtungszeiten, digitale Pinholefotografie, gezielte Kamerabewegungen und Überlagerungstechniken in der Postproduktion intensivieren die Aussagekraft der Bilder. Das hohe Verkehrsaufkommen und die starke Belastung der Luft hat Wilhelm Betz geradezu provoziert, einen künstlerischen Beitrag zu diesem Thema zu liefern. Die Bilder „Dicke Luft in Stuttgart“ zeigen Aufnahmen von verschiedenen Orten in Stuttgart. Es ist die hohe Autodichte und der Versuch die Luftbelastung trotzdem möglichst gering zu halten. Die kräftigen Farben sollen die Dramatik des Geschehens untermalen. Gezeigt werden Bilder von markanten Plätzen in der Stadt: Arnulf-Klett-Platz, Am Neckartor, Löwentorbrücke und S-Bahn Stadtmitte.
Auch das, was Stuttgart und seine Bürger seit vielen Jahren beschäftigt, entgeht dem fotografischen Auge von Wilhelm Betz nicht: der Stuttgarter Hauptbahnhof und seine Metamorphose vom Kopf- zum Durchgangsbahnhof. Es entsteht eine 450m lange und 80m breite Halle mit einer Dachkonstruktion aus Stahlbeton, getragen von sogenannten Kelchstützen. Wilhelm Betz’ Bilder dieser gigantischen Baustelle sind beeindruckend. Die Overlaytechnik, die hier als künstlerisches Mittel eingesetzt wurde, verstärkt den Eindruck der gezeigten Bilder nochmals.
„Stuttgarter Perspektiven“ ist der Titel einer neuen Fotoserie. Und auch da zeigt sich wieder die Kreativität und Experimentierfreudigkeit von Wilhelm Betz. Wenn in den Fotografie-Foren über die letzten Pixel, die man aus Sensoren und Objektiven an Auflösung herauskitzeln kann, diskutiert wird, fotografiert Wilhelm Betz mit einem Pinhole-Objektiv - wie in den allerersten Anfängen der fotografischen Darstellungen. Die also mit einer digitalen Lochkamera aufgenommenen Bilder von bekannten Gebäuden und Plätzen in Stuttgart zeigen die typische Unschärfe von Pinhole-Bildern, die das Dargestellte meist nur erahnen lassen. Wilhelm Betz nimmt die Pinhole-Aufnahmen als Basis und kombiniert sie in Overlays mit „normalen“, digitalen Langzeitaufnahmen und Aufnahmen, bei denen die Kamera während der Aufnahme gezielt bewegt wurde. Es entstehen dabei weiche und poetische Lichteffekte mit einer eigentümlichen Unschärfe. Durch die langen Belichtungszeiten, die man für die Pinhole-Fotografie benötigt, kommt auch der Faktor Zeit mit in das Bild und die digitale Pinhole-Fotografie schlägt damit einen Bogen von den Anfängen der Fotografie zur heutigen, digitalen Fotografie, mit einem impressionistischen Einfluß. Die Stimmung bei der Aufnahme läßt sich besser transportieren, man verzichtet bewußt auf die realistische und scharfe Darstellung der heutigen digitalen Fotografie.
Lieber Wilhelm, deine Fotografien sind viel mehr als nur Bilder – sie sind Geschichten, Emotionen und Begegnungen. Sie fangen den Moment ein und lassen uns gleichzeitig über die Tiefe der Menschen nachdenken, die du porträtierst. Und Du begleitest und dokumentierst kritisch und mit Deinem Blick die Entwicklungen in Deiner Stadt. Dafür danken wir Dir und freuen uns, Deine Arbeiten hier in dieser Ausstellung betrachten zu dürfen. Ich wünsche Ihnen allen einen inspirierenden Abend, viele spannende Gespräche und interessante Begegnungen. Tauchen Sie ein in die Welt von Wilhelm Betz und lassen Sie sich von seinen Fotografien begeistern.
Die Bilder von Wilhelm Betz beflügeln die Fantasie, da sie die abgebildeten Gebäude und Plätze nur erahnen lassen und der Betrachter kombiniert die gezeigten Bilder mit seinen eigenen Bildern aus seiner Erinnerung zu einem neuen Bild. So entsteht bei jedem Betrachter eine neue Realität. Wie ich finde, ein spannender, kreativer Prozess. Gezeigt werden Bilder unter anderem vom Aussichtsturm auf dem Killesberg, vom Kulturpalast, vom Cube in the City, vom Mercedes-Museum.
Vielen Dank